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Interview mit Regisseurin Bigna Tomschin

Regisseurin Bigna Tomschin

Was interessierst Dich beim Filmemachen?

Ich glaube, ich sammle dabei einen Teil der Realität, die mich umgibt. Ich kann einen Moment des vorbeiziehenden Lebens einfangen und festhalten, eine flüchtige Beobachtung, eine alltägliche Bewegung, einen unwichtigen Moment. Ich denke, dass es sowohl im Dokumentarfilm als auch in der Fiktion um eine eigene Sichtweise geht. Es geht um den Blick des Filmemachers, der die Welt enthüllt, vermittelt und bewahrt.

Wie würdest Du Dich und Deinen Arbeitsstil beschreiben?

Ich habe das Gefühl, dass es in der Branche einen Mangel an grundlegenden, persönlichen Arbeiten gibt. Besonders junge Filmemacher neigen dazu, nur nach Geschichten zu suchen, nach starken Emotionen wie Gewalt, Verrat und Macht. Ich interessiere mich für die kleinen Dinge, die einem doch so viel über das große Ganze verraten. Wenn ich einen perfekten Film machen könnte, wäre er leicht und empfindsam, und gleichzeitig kraftvoll in seinen kleinsten Bestandteilen. Es wäre ein Film, den ich selbst gern im Kino schauen würde, ein Film mit Humor, der sich selbst nicht allzu ernst nimmt, ein Film, der eher einem Gedanken als einer Story folgt, der zeitlos ist, weil er persönlich ist.

Welcher Film hat Dich zuletzt beeinflusst?

Harutyun Khachatryan – Endless Escape, Eternal Return (Armenien 2013)
Erst kürzlich habe ich seine Filme entdeckt und hatte die Gelegenheit, seinen neuesten Film im Kino zu sehen. Ich war sprachlos. Mit wie viel Geduld und Liebe dieser Filmemacher seine Protagonisten beobachtet! Wie er Schönheit in den unwahrscheinlichsten Momenten findet. Wie er es schafft, den Lauf der Zeit anzuhalten und zu betrachten. Diesen Film sollte man sich unbedingt ansehen.

Welchen Schweizer Film würdest Du anderen Nachwuchs-Filmemachern empfehlen?

Peter Liechti – Signers Koffer (Schweiz, 1996)
Das Schweizer Kino ist nicht besonders bekannt, aber ich glaube, dass es hier viele Dokumentarfilme gibt, die es wert sind, geteilt und verbreitet zu werden.
Einer davon ist Liechtis Essay-Film über den Künstler Roman Signer. Es ist ein herausragender Film und ein gutes Beispiel für die universelle Sprache des Filmemachens. Ich denke, dass Nachwuchs-Filmern dieser Film aufgrund seiner poetischen Sprache und Liechtis sehr persönlicher Sichtweise ansprechen würde. Ich habe festgestellt, dass Leute aus verschiedenen Nationen sich mit dieser Art von persönlicher Arbeit, die sich hauptsächlich auf die sichtbare Welt um uns herum konzentriert, gut identifizieren können. Die Kunst von Roman Signer entsteht durch eine enorme Verspieltheit und die Art und Weise, wie er die Zeit und deren Verstreichen einbezieht. Liechti erfasst und beobachtet das und ergänzt es mit seinem eigenen künstlerischen Anspruch. Gemeinsam entdecken sie ein Universum, das genau hier ist, direkt vor unseren Augen, und wir können es für unsere eigene Kunst nutzen.

2014 hast Du mit BLUE BLUE SKY den Deutschen Nachwuchs-Kamerapreis für den besten Schnitt erhalten. Wie hat die Arbeit als Cutterin Deine Arbeit als Regisseurin beeinflusst?

Wenn du Cutter bist, sitzt du in einem dunklen Raum und jemand kommt und gibt dir Stunden und Stunden von Material, das eine spezielle Tonlage hat, eine Atmosphäre, eine geheimnisvolle Haltung, ein verstecktes Geheimnis. Als Cutter fragst du nicht, woher all das Material kommt, du nimmst es und hörst dir an, was es zu sagen hat. Im Wesentlichen ist es genau das Gegenteil von der Arbeit eines Regisseurs, der als Jäger und Sammler herumläuft, und dabei immer so tut, als hätte er einen Plan. Als Cutterin fällt es mir leichter, diesen Plan zu „vergessen“ während ich drehe. Ich kann einfach durch den Sucher meiner Kamera schauen, so als würde ich bereits in diesem dunklen Raum auf das geheimnisvolle Material sehen.

Was sind für Dich die größten Herausforderungen beim Filmemachen?

Es wurden bereits viele Bücher über diese Frage geschrieben, also wird es mir kaum möglich sein, darauf eine schnelle Antwort zu finden. Im Bereich Dokumentarfilm ist es für mich eine große Herausforderungen, die Balance zwischen dem Respekt für dein Thema und den eigenen Hoffnungen und Vorstellungen zu finden. Das Thema sollte nicht deine Vision definieren, und deine Vision sollte nicht das Thema bestimmen. Für jeden einzelnen Film muss dieses Gleichgewicht neu gefunden werden. Es geht darum, gleichzeitig nah und distanziert zu sein – zu dir selbst, deiner Umgebung, deinem Dokumentarfilm-Universum. Die Lösung dieses Problems bestimmt am Ende den Charakter des gesamten Films. Es ist eine faszinierende Herausforderung, dem Film einerseits seine Geheimnisse zu gewähren und gleichzeitig auch all seine verschiedenen dunklen Ecken zu erforschen. Ich glaube, dass es eine Unmenge von Widersprüchen beim Filmemachen gibt. Das macht es so spannend und – herausfordernd.

Biografie

Bigna Tomschin wuchs in Zürich auf und studierte an der Zürcher Hochschule der Künste. Die Kurzfilme TAPETEN (2013) und BLUE BLUE SKY  (2014) wurden an zahlreichen internationalen Filmfestivals gezeigt und ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Kamerapreis 2014. Nach dem Abitur fand sie den Einstieg in die Filmwelt als Cutterin. Seit 2008 entstanden diverse freie Arbeiten in den Bereichen Dokumentarfilm und Spielfilm. Bigna Tomschin arbeitet als selbstständige Regisseurin und Cutterin in Zürich und Hamburg.