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Zwischen Kaffee, Kiez und 1000 Geschichten – Ein Gespräch mit Katrin Habermann

Von Jessica Offen

Es ist Mitte Mai und es fühlt sich an wie Sommer. Das Thermometer zeigt knapp 30 Grad, es ist leicht schwül, und ich sitze mit einer jungen Frau draußen vor einem Café in St. Pauli. Die Sonnenbrille liegt neben ihrem Handy, einem Feuerzeug und einem Päckchen Tabak auf dem kleinen, runden Tisch. An uns vorbei zieht das ganz normale Kiezpublikum abseits der Reeperbahn: Eltern mit ihren Kindern, die wahlweise vor Vergnügen oder Missstimmung kreischen, junge, individuell gekleidete Menschen, eine Gruppe Frauen mit Kopftuch, ein Mann mit großen Kopfhörern und Sonnenbrille, der nach Pfandflaschen sucht und mit sich selbst spricht.


Mir gegenüber sitzt Katrin Habermann, die seit April 2014 Creative Producerin bei der Sterntaucher Filmproduktion ist. Seitdem unterstützt sie die Produktionsabteilung nicht nur im Alltagsgeschäft, sondern vor allem auch bei der Entwicklung und Umsetzung von neuen Dokumentarfilmen und internationalen Projekten. Sie knüpft Kontakte, vernetzt und sucht nach Regisseuren mit außergewöhnlichen Stoffen.

Producerin Katrin Habermann

„Es ist absolut nicht mein Selbstverständnis als Producerin, ausschließlich darauf zu achten, dass sich ein Film gut vermarkten lässt", erklärt sie mir und stellt ihren

Milchkaffee ab. „Jeder Teil eines Projekts sollte bestmöglich ausgestattet sein. Filmen, die nur auf einen ganz klaren Zuschauerwunsch hin produziert werden, fehlt manchmal die kreative Seele."

Sie mag es am liebsten, wenn sie die unterschiedlichen Elemente eines Films gleichberechtigt zusammenbringen kann. Kanalisieren, ordnen, Anstöße geben - damit neue Geschichten ihren Weg in die Welt finden können. Wie zum Beispiel die Geschichte des iranischen Jugendlichen, der gefangen ist in der Handlungsunfähigkeit einer Duldung. Aufgewachsen in Deutschland blieb ihm bislang die Arbeitserlaubnis verwehrt. Der einzige Ausweg aus dieser undefinierten Zwangspause des Lebens scheint ein Verrat der Eltern an die Behörden zu sein. Ein tiefes moralisches Dilemma, das ohne Effekthascherei den Zuschauer ehrlich berührt und nachdenklich stimmt. „Wie ein Fremder“ (2010) unter der Regie von Lena Libertà war Katrins Abschlussfilm an der Hamburg Media School (HMS) und wurde vielfach mit Preisen ausgezeichnet (unter anderem als Bester Kurzfilm bei den Nordischen Filmtagen Lübeck, Hamburger Kurzfilmpreis des Internationalen Kurzfilmfestivals Hamburg, Publikumspreis und Preis der Jury beim Fesitval Cinema et droits humains Paris, Bester Kurzfilm, Beste Regie und Beste Kamera beim Filmfestival Almaty Kasachstan).

„Meine Studiengangsleiterin Manuela Stehr hat mich sehr geprägt. Sowohl Manuela als auch Bernd Eichinger sind Produzenten-Persönlichkeiten mit großem Mut und

messerscharfen Verstand. Das ist vor allem für junge Produzenten unheimlich beeindruckend, wenn man sich selbst sieht mit seinen ganzen Zweifeln und man dann die Haltung dieser Menschen erfährt.“

Von anderen zu lernen und die unterschiedlichsten Sets und Produktionen zu erleben war Katrin während ihrer Ausbildung sehr wichtig – vom Video-Journalisten, der Redakteur, Kamera- und Tonmann in einer Person vereint, über deutschen Kino- und Arthouse-Film bis hin zur großen Hollywood-Produktion. Diese Neugier wurde auf zwei Arten befriedigt: Zum einen lud die HMS erfolgreiche Gastdozenten ein, wie beispielsweise Stefan Arndt (der von ihm koproduzierte Film „Liebe“ wurde 5-fach für den Oscar nominiert; „Das weiße Band“ erhielt u.a. die Goldene Palme in Cannes und den Golden Globe), zum anderen arbeitete Katrin auch an den unterschiedlichsten Projekten mit. Die größte Produktion erlebte sie bei Roland Emmerichs „Anonymous“ während einer mehrwöchigen Assistenz des Produzenten Robert Leger. „Das war super. Robert Leger hat sich wirklich Zeit genommen und versucht, mir seine Haltung beim Filmemachen näher zu bringen.“

 

Hollywood-Luft für Katrin am Set in Potsdam-Babelsberg, mit einem Star-Regisseur, einem rund 80-Mann-Team, internationalen Darstellern und einer parallel laufenden Postproduktion. „Ich habe es genossen, solche Dimensionen zu erfahren, mir diese Abläufe anzuschauen und zu sehen, wie man eine so große Menge an Menschen bewegen kann.“ Diese Erfahrung kam ihr nach dem Studium auch bei ihrer Anstellung als Junior Producerin bei brave new work zugute, wo sie an Filmen wie „45 Minutes to Ramallah“ (Ali Samadi Ahadi, 2012) und “City of Sounds” (Janek Romero, 2014) mitarbeitete. Bis sie 2012 die Pause-Taste betätigte und sich aus dem Filmgeschäft weitestgehend zurückzog. Stattdessen betreute sie als Bookerin für das Hamburger Kreativlabel K52 Veranstaltungen und Künstler aus der Musikbranche.

Das war der Zeitpunkt für Selbstreflexion und eine Zwischenbilanz.

Was war der Kern ihrer Arbeit? Was war ihr Antrieb?

Sie zündet sich eine Zigarette an. Erst jetzt fällt mir auf, dass Katrin sich während unseres Gesprächs mehrere Zigaretten gerollt hat, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie auch nur eine rauchte. Sie macht das mit einer solchen Selbstverständlichkeit unauffällig nebenbei, dass ich weder den Dunst in meiner Nase spüre, noch mich nachträglich daran erinnern kann, wie sie die Zigarette zum Mund führt.

 

„Ich mache das, weil ich Geschichten liebe”, gibt mir Katrin die Antwort auf die Frage, die sie sich damals stellte. “Egal, in was für einer Art und Weise. Geschichten passieren überall und kommen in allem vor, auch in einer Installation, in einem Kunstwerk oder zum Beispiel auch in einem Kleidungsstil.“ Sie trägt kurze Blue-Jeans-Shorts und ein gemustertes Shirt aus leichtem Stoff mit weiten Ärmeln, die ihr bis zu den Ellenbogen gehen. Die farbigen Punkte und Linien auf schwarzem Untergrund verleihen dem Outfit einen Hauch von Ethno-Look.

"Was ich am Filmemachen mag, ist, den Leuten eine fremde Wirklichkeit näher zu bringen und beim einzelnen Zuschauer einen Ansatzpunkt zu finden, wo ich ihn in

seinem Punkt, in seinem Problem abhole und einen emphatischen Moment hervorrufe. Auch wenn du einem ganz anderen dabei zuschaust, wie er sich an etwas abarbeitet,

ziehst du irgendwann Rückschlüsse auf dich selbst und reflektierst über deine eigene Realität. Das finde ich extrem interessant.“

Anfangs produzierte sie fiktionale Filme, bei denen der zeitliche Entwicklungs-Ablauf stark kontrollierbar ist, an denen man jederzeit arbeiten kann, und die sich – mit genügend Arbeitskraft und einer ordentlichen Portion Glück oder guter Beziehungen – in der kürzest möglichen Zeit produzieren lassen, und die dabei trotzdem eine exzellente Qualität erreichen können. Dann entdeckte sie den Dokumentarfilm für sich und das Korsett der Realität. „Bei einem Dokumentarfilm musst du dich einfach auf den Rhythmus der Gegebenheiten einlassen und nicht auf deinen eigenen. Solche Projekte kannst du eigentlich nicht beschleunigen. Da kannst du dich drei Mal im Kreis drehen und das Projekt passiert trotzdem nicht schneller. Sowohl von den Protagonisten her als auch von der kreativen Seite, weil erst mal die Basis stimmen muss, bevor du anfängst zu drehen. Dokumentarfilm heißt für mich außerdem auch, eine Haltung zu etwas zu haben. Es gibt nichts Stärkeres als eine persönliche Haltung oder Geschichte eines Menschen. Das ist das, was einen auch emotional und empathisch bewegt. Solche Geschichten erzähle ich gerne.“

 

So führte Katrin der Weg nach der selbstgewählten Pause schließlich zur Sterntaucher Filmproduktion. „Bei den Sterntauchern habe ich eine ganz spezielle Haltung gefunden, die definitiv nicht typisch ist in dieser Branche. Es ist so ein Vertrauen in den Prozess, dass alles zum richtigen Zeitpunkt kommen und auch etwas Gutes dabei herauskommen wird. Aus dieser etwas zurückhaltenden Einstellung entsteht eine angenehme Atmosphäre, in der sich auf kreativer Seite von ganz alleine Entwicklungen ergeben, weil sie den Freiraum dazu haben. Manchmal hilft es einfach, einen Moment durchzuatmen. Durch hektisches Reagieren verliert man manchmal das Gefühl für den richtigen Zeitpunkt.“

Und was braucht es ihrer Meinung noch, um einen guten Dokumentarfilm herzustellen?

Was heißt das für sie überhaupt: ein guter Dokumentarfilm?

„Ein guter Dokumentarfilm hat für mich eine Haltung zu dem, was er erzählt und nimmt sowohl seine Protagonisten als auch seine Zuschauer ernst. Er existiert nie um seiner selbst willen oder nur für das Ego des Filmemachers, sondern versucht, eine Brücke vom Protagonisten zum Zuschauer zu bauen. Im Idealfall ist ein Dokumentarfilm ein Transformationsprozess – sowohl während der Herstellung als auch später für den Zuschauer. Ich glaube, das ist sowieso das, was Menschen bewegt oder antreibt – einen Schritt der Transformation zu erleben.“

 

Die Kellnerin kommt vorbei und bringt mir noch einen Tee. Ich blinzele in die Sonne und betrachte das bunte Treiben, das auf der Straße an uns vorbeizieht. Menschen jeden Alters, mit verschiedenen kulturellen Hintergründen, die ich nur erahnen kann. Es ist nicht nur Kiezpublikum, das ich sehe. Uns passieren hunderte unerzählter Geschichten.