Diese Webseite nutzt Cookies

Diese Webseite nutzt Cookies zur Verbesserung des Erlebnisses unserer Besucher. Indem Sie weiterhin auf dieser Webseite navigieren, erklären Sie sich mit unserer Verwendung von Cookies einverstanden.

Making of BONNE NUIT PAPA

Die Idee

Die Idee zu BONNE NUIT PAPA ist über mehrere Jahre gewachsen. Die Initialzündung gab ein überraschender Brief, den Marina Kems Vater, Ottara Kem, 1999 nach drei Jahrzehnten der Isolation von seiner kambodschanischen Familie erhielt, nachdem ihn ein Verwandter in Dresden ausfindig gemacht hatte. Durch diese neue Verbindung in die Heimat ihres Vaters entstand bei Marina Kem die Idee, gemeinsam mit ihrem Freund Oliver Neis und ihrem Vater nach Kambodscha zu fliegen und diese Reise mit einer Kamera zu begleiten. „Zunächst hatte ich nur eine vage Vorstellung davon, in unbekannter Zukunft einen Film über Kambodscha oder auch meinen Vater zu machen, ohne eine richtige Vorstellung für einen konkreten Film“, erzählt Marina Kem. „Anfangs ging es mir hauptsächlich darum, Material zu sammeln, besondere Momente festzuhalten und zu sehen, was passiert.“ Die Suche nach einer Verbindung, einem roten Faden beschäftigte sie immer wieder über die folgenden Jahre. „Aus heutiger Sicht würde ich sagen, ich war selbst noch so tief im Prozess der Transformation oder des Erkennens – oder vielleicht auch des Erwachsenwerdens, dass ich mich innerhalb der Geschichte nicht von außen sehen konnte. Ich habe alles getrennt voneinander wahrgenommen: das Leben meines Vaters, das Schicksal der Kambodschaner und mein Leben, das inzwischen in der Filmwelt angesiedelt war. Ich konnte die Zusammenhänge nicht klar genug erkennen.“

 

Das änderte sich erst durch eine Krebserkrankung ihres Vaters, die eine neue Dringlichkeit schuf, sich mit ihm und seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Es wurde ein langes und versöhnliches Abschiednehmen. „Der endgültige Auslöser, tatsächlich einen Film über die Lebensgeschichte meines Vaters zu machen, kam durch die unglaublich herzliche Begegnung mit den Verwandten während der Beerdigung in Kambodscha. Meine Schwestern, mein Freund und ich haben die Urne in das Heimatdorf meines Vaters gebracht und dort wurde er dann mit allen wichtigen buddhistischen und brahmanistischen Ritualen bestattet. Die Familie hat uns so herzlich aufgenommen und uns in wenigen Tagen so sehr das Gefühl gegeben, dass wir hier auch zu Hause und alle miteinander verbunden sind, dass ich endlich die Geschichte des Films sehen, fühlen und irgendwann auch erzählen konnte.“

Post aus Kambodscha
"Pros" Kem beim Gedenken an seine ermordete Familie.
Marina Kem zwischen ihren kambodschanischen Cousinen.

Es wird konkret

Der Film und seine Geschichten nahmen immer mehr Form an. Um Nähe und Distanz sollte es gehen, Entfremdung und Verbundenheit, und Marina Kem versuchte, eine Produktionsfirma für dieses Projekt zu gewinnen. Doch kein Produzent wollte sich so recht an das komplexe Thema heranwagen. 2010 schließlich gründeten Oliver Neis, der ursprünglich Werbefilmregisseur ist, Marina Kem und Producer Stefan Heinen eine eigene Firma: die STERNTAUCHER Filmproduktion. „Wir begriffen den Sterntaucher in der Gründungsphase vor allem als Werkzeug, um Dinge möglich zu machen“, so Stefan Heinen.
„Ein Filmprojekt wie BONNE NUIT PAPA ist eine sehr fragile Angelegenheit, so etwas kann nur mit absoluter Sorgfalt und Hingabe gelingen und vor allem: jenseits rein finanzieller Interessen,“ ergänzt Oliver Neis. „Uns war völlig klar: das geht nur mit einer eigenen Firma.“ Nur drei Monate nach Gründung der Filmproduktion beantragten die drei Gesellschafter  Projektentwicklungsförderung bei der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein. „Die reagierte mit einem großen Vorschuss an Vertrauen und bewilligte die Förderung, wofür wir heute noch sehr dankbar sind“, betont Heinen.

 

Im Januar 2011 brach ein kleines Team zur ersten offiziellen Recherchereise nach Kambodscha auf, mit dabei Marina Kem, Oliver Neis und Kameramann Notker Mahr, den die beiden bereits seit ihrem Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg kannten und mit dem sie schon bei verschiedenen Projekten zusammengearbeitet hatten.
„Als wir damals zu dritt kambodschanischen Boden betraten, wurde mir langsam klar, was für eine Aufgabe dieses Dokumentarfilmprojekt für mich bereit hielt“, erinnert sich Notker Mahr. „Ich merkte, dass es nicht darum ging, auf eine möglichst unauffällige und zurückhaltende Art und Weise die Geschehnisse, Erzählungen und Lebensumstände der kambodschanischen Protagonisten zu dokumentieren. Stattdessen sollte ich zu der Familie eine Beziehung aufbauen dürfen, die mir erlaubte, den sehr persönlichen Statements der Protagonisten ohne falsche Scham auf beiden Seiten beiwohnen zu können. Ich fühle mich heute noch geehrt davon, auf diese spezielle Anforderung hin für diesen Job ausgewählt worden zu sein.“


Diese Drehreise und weitere Recherchen innerhalb Deutschlands führten schließlich zu einer konkreten Vorstellung des Films, mit ausgewählten Protagonisten, Drehorten und einer klaren, aber vielschichtigen Geschichte, welche 2012 nicht nur die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, sondern auch das Kuratorium junger deutscher Film für eine Produktionsförderung überzeugen konnte. Nach den Förderzusagen präsentierten Kem, Neis und Heinen ihr Projekt bei der Arte-Redakteurin Ulrike Dotzer und schlugen ihr eine Koproduktion vor. Sie war von der Filmidee zu BONNE NUIT PAPA angetan und konnte ihn sich sehr gut als abendfüllenden Film auf dem Sendeplatz „Großer Dokumentarfilm“ vorstellen. Mit der Zusage von NDR/Arte war die Finanzierung mit einem Gesamtbudget von 280.000 Euro schließlich komplett.

Die drei Gesellschafter bei der Gründung der Sterntaucher Filmproduktion: Oliver Neis, Marina Kem und Stefan Heinen.
Marina Kem gibt Pros Kem Fotos und Briefe, die sein Vater ihrem Vater zwischen 1965 und 1974 in die DDR geschickt hatte.
Interviewsituation in Svay Rieng mit Protagonistin Socheatta Kong, genannt „Mom“.

Dreharbeiten

Somit konnten im Herbst 2012 die Dreharbeiten beginnen. Das Dreh-Team wurde vervollständigt mit dem Tonmann Max Kielhauser und Viry Kem, die nicht nur Regieassistentin war, sondern gleichzeitig auch noch die Rollen der Protagonistin, Archiv-Rechercheurin und jüngeren Schwester ausfüllte.
„Ich arbeite wirklich gern mit den Sterntauchern, insbesondere mit Marina. Mit einer präzisen Vision, vorausschauendem Denken und einer klaren Entscheidungsfreude, kombiniert mit Spaß am Set und blindem Verständnis unter Schwestern ist Marina eine absolute Wunschregisseurin in meiner Position als Regieassistenz,“ berichtet Viry Kem. Von ihrer Schwester für die Weltöffentlichkeit über Familienthemen befragt zu werden, war für sie kein Problem: „Als Protagonistin bin ich mir nie unsicher gewesen auch Persönliches vor der Kamera zu erzählen, da ich keinen Regisseur kenne, der so bewusst und durchdacht seine Verantwortung gegenüber seinen Protagonisten wahrnimmt. Dies ist mir schon bei anderen Projekten von Marina aufgefallen, so dass ich irgendwann festgestellt habe: wenn ich mich einmal vor die Kamera setzen sollte, dann bei Marina.“

Gemeinsam absolvierte das Team insgesamt 40 Drehtage, 24 davon in Deutschland (Berlin, Hamburg, Dresden, Leipzig, Neustadt in Sachsen, Cossern, Bretnig, Großröhrsdorf, Gaußig, Weida) und 16 Tage in Kambodscha (Phnom Penh, Svay Rieng, Siem Reap, Angkor, Tonle Sap, Kampong Cham, Sihanoukville, Chantrei, Prey Veng). Währenddessen sind 30 Interviews entstanden, 16 auf Khmer und 14 auf Deutsch. Dabei musste das Filmteam kulturelle und vor allem klimatische Unterschiede zwischen Deutschland und Kambodscha überbrücken. So war der kälteste Drehtag im sächsischen Winter Januar 2012 bei -26 Grad Celsius. Nur wenige Wochen zuvor schwitzte das Dreh-Team bei Temperaturen bis zu 42 Grad Celsius im schwül-warmen Kambodscha.
„Einprägend amüsant fand ich unser bescheidenes Lichtequipment in Kambodscha und der lösungsorientierte und beherzte Umgang von Notkar damit“, erinnert sich Viry Kem. „So wurden zum Beispiel mehrere Taschenlampen mit Tape an Tonstative geklebt oder Aluminium Klapptische in die Sonne gestellt oder noch ein Smartphone mit Taschenlampen-Funktion als leichte Kante beim Interview 'aufgebaut'.“

Kameramann Notker Mahr im schwül-warmen Kambodscha bei bis zu 42 Grad Celsius.
Dreh in Sachsen im Januar 2013 bei klarem Himmel und klirrender Kälte und Temperaturen von -20 Grad.

Postproduktion

Da die Lebensreise von Dr. Ottara Kem eng mit dem Zeitgeschehen verbunden war, wurde auch sehr sorgfältig historisches Bildmaterial recherchiert: 117 potenzielle Quellen, darunter professionelle Archive und Privatpersonen, wurden nach passendem Material durchforscht. Das bedeutete 300 Stunden Archivmaterial für eine Vorauswahl zu sichten. Hinzu kamen 2000 Dokumente und Fotos, die gescannt wurden, und 160 Stunden selbst gedrehtes Material. Eine Mammutaufgabe für die Postproduktion, die eine besonders sorgsame Logistik und Aufbereitung von den Sterntauchern erforderte. Die Essenz des Materials sollte schließlich mit der Hilfe von Editor Steven Wilhelm in einem 100-minütigen Film enden: „Es gab sehr viel Material, auch sehr viel Archivmaterial, das übrigens perfekt organisiert war. Wir haben uns langsam herangetastet, Stück für Stück, und dann immer wieder ganze Blöcke umgestellt. Dafür haben wir uns auch Zeit gelassen und nicht versucht, ihn in ein Korsett zu pressen, wir haben uns der Geschichte angenähert.“
Nach einem Entstehungsprozess von insgesamt 15 Jahren feiert Marina Kems erster Kino-Dokumentarfilm BONNE NUIT PAPA nun seine Premiere auf den Nordischen Filmtagen Lübeck. „Ich finde, der Film ist sowohl in seiner Bildästhetik, Erzählform und in seinem Tempo außergewöhnlich gut gelungen Er will nicht aufdringlich sein, er ist bescheiden und ehrlich, man muss sich in ihn fallen lassen und dann erwischt er einen sehr tief“, so Steven Wilhelm. „Er regt zum Grübeln an, über die eigene Familiengeschichte, über sich selbst, über die Weltgeschichte. Ich denke, man kann an ihm wachsen. Der Film ist tiefgründig und ehrlich geworden. Man muss sich auf ihn einlassen und dann wird man belohnt.“